Im Wildnisgebiet Solling entsteht ein Urwald von morgen

Forstministerin Barbara Otte-Kinast und Umweltminister Olaf Lies: „Wichtiger Beitrag zum Schutz der Biodiversität“

Hannover/Uslar. Wie entwickelt sich das Wildnisgebiet im Solling? Darüber haben sich jetzt Forstministerin Barbara Otte-Kinast und Umweltminister Olaf Lies gemeinsam mit dem Lenkungskreis des Niedersächsischen Weges vor Ort informiert. Denn: Im Solling haben die Niedersächsischen Landesforsten (NLF) ein neues Wildnisgebiet ausgewiesen, das in Zukunft gänzlich sich selbst überlassen wird – so haben es die Partner des Niedersächsischen Weges vereinbart. Die bereits bestehende Naturwaldkulisse auf rund 33.000 Hektar im Landeswald, die sich frei von direktem menschlichem Einfluss entwickelt, wird damit um über 1.000 Hektar erweitert. Mit der Ausweisung des Wildnisgebietes wird ein wichtiger Baustein der nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt umgesetzt.

Anhand ausgesuchter Waldbilder zeigten die Försterinnen und Förster der Niedersächsischen Landesforsten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt aus Göttingen, welche Ziele mit der Ausweisung verfolgt werden und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Entwicklung in diese Richtung anzustoßen. So kartierten die Landesforsten das Gebiet zunächst und erfassten vorkommende Biotope, Waldgesellschaften und Arten. Auf Basis der Ergebnisse haben sie dem Lenkungskreis einen Entwicklungsplan vorgelegt, in dem die zur Steigerung des naturschutzfachlichen Wertes umzusetzenden Maßnahmen aufgezeigt werden. Hierzu zählen die Entnahme noch vorkommender Fichten und die Pflanzung heimischer Buchen, letztmalige Biotoppflegemaßnahmen, und der bereits seit Anfang des Jahres umgesetzte Verzicht auf die Ernte jeglichen Laubholzes sowie der Rückbau von Wegen, die das Gebiet bislang erschlossen haben.

Forstministerin Barbara Otte-Kinast würdigte den Wert des Gebietes: „Die Landesforsten leisten mit diesem Wildnisgebiet einen wichtigen Beitrag zur weiteren Erhöhung der Biodiversität im Wald! Die Lage im nach dem LÖWE-Programm bewirtschafteten Landeswald steigert den Wert des Gebietes für den Schutz und den Erhalt seltener Arten.“ Das Programm LÖWE zur „Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung“ ist seit 30 Jahren Grundlage für die naturnahe Bewirtschaftung des Landeswaldes.

Umweltminister Olaf Lies: „Dass wir nun ein echtes Wildnisgebiet in Niedersachsen bekommen, ist wirklich etwas ganz Besonderes, wir können froh sein, dass die beiden Naturschutzverbände hier so hartnäckig verhandelt haben. Wir wollen mit der Einrichtung des Wildnisgebietes die Wanderbewegungen von Tieren und Pflanzen ermöglichen, die zu ihrem Erhalt Bewegungskorridore benötigen. Das bereits vorhandene FFH-Gebiet ‚Wälder im östlichen Solling‘ soll hierdurch eine Aufwertung erfahren. Die Fläche zeichnet sich durch kleinere Habitatbaumflächen, Sonderbiotope und einzelne Habitatbäume aus; nun wird sie von dem Wildnisgebiet teilweise umschlossen.“

Axel Ebeler, stellvertretender Vorsitzender des BUND Niedersachsen: „Für den BUND Niedersachsen ist die Ausweisung des Wildnisgebietes im Solling ein Kernstück des Niedersächsischen Weges. Als Mitglied des Lenkungskreises werden wir die weitere Entwicklung eines Wirtschaftswaldes hin zu einem naturnahen Dauerwald ohne menschliche Eingriffe konstruktiv begleiten.“

Gisela Wicke, vom Vorstand des NABU Niedersachsen: „Der Solling gehört aufgrund seiner bodensauren Buchenbestände und seines Umfanges zu den bedeutendsten Lebensräumen dieses Typs in Europa. In diesem Wildnisgebiet sind mindestens die Hälfte der Buchenbestände über 150 Jahre alt. Das ist ein Lebensraum, den es in dieser Weise in Europa sonst kaum noch gibt. Davon können Wildkatze, Luchs, Schwarzstorch sowie zahlreiche Insekten-, Pilz- und Pflanzenarten profitieren.“

Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK): „Durch den Niedersächsischen Weg wird im Staatswald im Solling auf begrenzter Fläche ein Wildnisgebiet geschaffen. Aus dem nichtbewirtschafteten Wald können hoffentlich auch Erkenntnisse für den Wirtschaftswald der Privatwaldbesitzer gewonnen werden.“ Die LWK beschäftigt gut 130 Försterinnen und Förster in den LWK-Forstbezirken und ist in Niedersachsen für mehr als 60.000 Privatwaldbesitzende zuständig. Über Kooperationen mit Waldbesitzerinnen und -besitzern betreut die LWK gut 500.000 Hektar Waldfläche.

Ulrich Löhr Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen: „Die Entwicklung von Urwäldern in einer so dicht besiedelten Gesellschaft wie der unsrigen ist ein Spannungsbogen, der ausgewogen, mit Respekt und Verantwortung gegenüber den betroffenen Akteuren erörtert werden muss. Wenn wir dem Klimawandel wirksam begegnen wollen, muss allen klar sein, dass wir dazu vorrangig den nachwachsenden Rohstoff Holz und somit ertragreiche Wirtschaftswälder benötigen, in denen vor Ort dauerhaft Kohlendioxid der Atmosphäre zur Erzeugung langlebiger Holzprodukte entzogen wird.“ Ein Urwald binde schließlich kaum noch Netto Kohlendioxid, und Holz für den Holzbau müsse dann nicht um die halbe Welt hierher transportiert werden.

Für Waldbesucherinnen und -besucher ändert sich auf den ersten Blick kaum etwas: Bis die ersten Spuren des fehlenden menschlichen Einflusses bemerkbar sind, werden Jahrzehnte vergehen. Die allmähliche, teilweise im Verborgenen stattfindende Entwicklung ist Gegenstand des Monitorings der Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt, dessen Ergebnisse in die Naturwaldforschung einfließen.

Dr. Klaus Merker, Präsident der Landesforsten, erklärt: „Das Gebiet ergänzt unsere ‚Urwälder von morgen‘, die wir bereits auf zehn Prozent unserer Fläche ausgewiesen haben und die sich zukünftig ohne Pflege- und Holzerntemaßnahmen entwickeln sollen. Hier finden auch Arten ihren Lebensraum, die auf Strukturen angewiesen sind, wie sie für Urwälder typisch sind. In einzelnen Bereichen werden wir der Natur noch etwas auf die Sprünge helfen müssen, um den Weg für eine natürliche Entwicklung zu ebnen.“

 

Hintergrund:

Der Niedersächsische Weg

Beim Niedersächsischen Weg handelt es sich um ein Maßnahmenpaket für mehr Natur-, Arten- und Gewässerschutz. Neben der Landesregierung gehörten Vertreter des Landvolks Niedersachsen, der Landwirtschaftskammer sowie des NABU Niedersachsen und des BUND Niedersachsen zu den Unterzeichnern des bundesweit einmaligen Vertrages, der im Mai 2020 unterzeichnet wurde. Nach der Vereinbarung der (gesetzlichen) Rahmenbedingungen geht der Niedersächsische Weg jetzt verstärkt in die Umsetzung.
Weitere Informationen: www.artenretter-niedersachsen.de

Wildnisgebiete in Deutschland

Was ein Wildnisgebiet ausmacht, hat das Bundesamt für Naturschutz definiert: Großflächige Wildnisgebiete sollen eine Größe von mindestens 1.000 Hektar aufweisen. Sie dienen dazu, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten.

Das Wildnisgebiet Solling als „Urwald von morgen“

Das Gebiet erstreckt sich nordöstlich von Uslar zwischen dem Forsthaus Grimmerfeld im Osten und Donnershagen im Westen. Die höchste Erhebung ist der Schönenberg mit 457 Meter über Normal Null. Es liegt vollständig im Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH) „Wälder im östlichen Solling“, das auch als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Im Gebiet herrschen ausgedehnte Buchenwälder vor, die auf Teilflächen von Eichen- oder Fichtenwäldern unterbrochen sind. Als besondere Vogelarten kommen hier Spechte wie Schwarzspecht, Grauspecht und Mittelspecht vor, sowie der auch außerhalb weit verbreitete Schwarzstorch. Arten wie Wildkatze und Luchs, die im gesamten Solling vorkommen, sind ebenfalls im Gebiet heimisch.

Die Niedersächsischen Landesforsten

Die Niedersächsischen Landesforsten bewirtschaften als öffentliches Unternehmen rund ein Drittel des Waldes in Niedersachsen (330.000 Hektar). Neben der forstlichen Bewirtschaftung nehmen sie wichtige Aufgaben im Rahmen des Naturschutzes, der Erholungssicherung und der Umweltbildung wahr.
Weitere Informationen: www.landesforsten.de  

Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt

Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Länder Niedersachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Sie betreibt auf fast einem Viertel der deutschen Waldfläche praxisnahe forstliche Forschung und berät Waldbesitzer, Forstbetriebe, Verwaltungen und die Politik.
Weitere Informationen: www.nw-fva.de