„Die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit ist eine gemeinsame Herausforderung“
Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler hat heute im Schauspielhaus Hannover elf Persönlichkeiten mit dem Wissenschaftspreis Niedersachsen 2021 ausgezeichnet für ihre hervorragenden Leistungen in Forschung, Transfer und Lehre sowie dafür, dass sie sich in herausragender Weise um die Hochschulentwicklung in Niedersachsen verdient gemacht haben. Der Preis ist mit insgesamt 109.000 Euro dotiert. Alle Preisträgerinnen und Preisträger sind an einer niedersächsischen Hochschule tätig.
„Auch mit Blick auf das Pandemiegeschehen ist heute ein guter Anlass, um der aktuell und in den anstehenden Transformationsprozessen wachsenden Bedeutung von Wissenschaft und Forschung Geltung zu verschaffen, indem wir elf herausragende Persönlichkeiten mit dem Wissenschaftspreis Niedersachsen ehren“, so Thümler. „Die vergangenen 19 Monate haben ein unübersehbares Schlaglicht auf die Leistungsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems geworfen. Es gilt nun, die Wissenschaftskommunikation als wichtiges Element eines Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nachhaltig zu stärken. Dabei ist die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit eine gemeinsame Herausforderung. Mir ist es ein besonderes Bedürfnis, mich vor unsere Forscherinnen und Forscher zu stellen. Den Preisträgerinnen und Preisträgern gratuliere ich ganz herzlich zu ihren herausragenden Leistungen und ihrem Engagement. Machen Sie bitte weiter so.“
Kategorie I – Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler an einer Universität
Professor Dr.-Ing. Arno Kwade, TU Braunschweig
Den mit 25.000 Euro dotierten Preis als Wissenschaftler an einer niedersächsischen Universität erhält Professor Dr.-Ing. Arno Kwade. Er ist Professor für Verfahrenstechnik und leitet seit 2005 das Institut für Partikeltechnik an der TU Braunschweig.
Er hat maßgebliche Forschungsleistungen in den Bereichen Pharmaverfahrenstechnik sowie Batteriezellentechnologie und -produktion erbracht. Damit leistet er bedeutende Beiträge für gesellschaftlich drängende Fragen etwa im Bereich der Elektromobilität sowie bei der Entwicklung kostengünstiger und sicherer stationärer Energiespeicher, die zur Umsetzung der Energiewende benötigt werden.
Durch die Einrichtungen der beiden Forschungszentren „Battery LabFactory Braunschweig (BLB)“ und „Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik (PVZ)“ hat er die Entwicklung der TU Braunschweig und des Landes Niedersachsen in diesen Bereichen entscheidend geprägt. Beide Zentren gehen wesentlich auf sein herausragendes Engagement zurück.
In der von ihm aufgebauten und geleiteten, sehr erfolgreichen BLB arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Elektrochemie, Verfahrenstechnik, Produktionstechnik und Elektrotechnik zusammen, und zwar in einem Verbund mit Forschenden der TU Clausthal, der Leibniz Universität Hannover sowie der Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB). Durch seine Forschungsaktivitäten im Bereich des Designs und der Herstellung von Batterieelektroden für Lithium-lonen- sowie Next-Generation-Batterien und die daraus entwickelten Forschungsaktivitäten konnte sich Niedersachsen zu einem der führenden Batterieforschungsstandorte mit hoher europäischer und weltweiter Sichtbarkeit entwickeln.
Bedeutend ist zudem sein Engagement in der Lehre sowie in der Förderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einer frühen Karrierephase. Insbesondere gelingt es ihm, überdurchschnittlich viele Frauen für Forschungsaktivitäten in den Technikwissenschaften zu begeistern und diese erfolgreich auf ihrer fachlich-wissenschaftlichen Entwicklung zu begleiten.
Kategorie I – Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler an einer Fachhochschule
Professor Dr. rer. nat. Christoph Rußmann, HAWK
Als Wissenschaftler an einer Fachhochschule wird Professor Dr. rer. nat. Christoph Rußmann ausgezeichnet. Auch dieser Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Er ist seit 2016 Professor für Photonik und Medizintechnik an der HAWK.
Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in der medizinischen Bildgebung, Lasermedizin und in der Anwendung von mobile Health sowie Künstlicher-Intelligenz- und Big-Data-basierten Ansätzen in der Medizintechnik und im Gesundheitswesen. Übergeordnetes Ziel seiner Forschung ist die Überwindung regulatorischer Innovationshürden, um den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in dringend benötigte Medizinprodukte, zum Beispiel zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, zu ermöglichen. Hierbei war er in der Vergangenheit sehr erfolgreich, wie eine ganze Reihe patentierter erfolgreicher und ausgezeichneten Medizinprodukte, an deren Entwicklung er federführend mitgewirkt hat, zeigen. Er bindet klinische Anwendung und Firmen frühzeitig in seine Forschungsprojekte ein.
Als Studiendekan und heutiger Dekan Gesundheit der HAWK ist er federführend am Aufbau der Organisations- und Infrastruktur des Gesundheitscampus Göttingen beteiligt und vernetzt aktiv die verschiedenen Akteure am Standort Göttingen.
Im internationalen Kontext erarbeitet er in firmenübergreifenden Netzwerken Grundlagen zur Translation von revolutionären Technologien wie KI und Quantentechnologien in Medizinprodukte.
Auch im Bereich Studium und Lehre ist er mit innovativen Formen der Wissens- und Kompetenzvermittlung sehr erfolgreich. Alleinstellungsmerkmal der von ihm konzipierten Studiengänge ist eine berufsgruppenübergreifende akademische Sozialisation, die auf die interprofessionelle Zusammenarbeit im Beruf vorbereitet. Dabei werden den Studierenden die modernen Werkzeuge zur Produktentwicklung und des dazugehörigen gesetzlichen Rahmens durch innovative Konzepte (Fallstudien, interprofessionelle Projektarbeiten etc.) sowie die Einbindung relevanter Akteure der Medizintechnikindustrie vermittelt.
Kategorie II – Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule
Dr. phil. nat. Viola Priesemann; Universität Göttingen
Den Preis als Wissenschaftlerin in einer frühen Karrierephase, dotiert mit 20.000 Euro, erhält Dr. phil. nat. Viola Priesemann. Sie leitet seit 2017 die Forschungsgruppe „Theorie Neuronaler Systeme“ am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) und am Institut für Dynamik komplexer Systeme der Universität Göttingen.
Sie erforscht auf theoretischer Ebene Ausbreitungsdynamiken in komplexen Systemen sowie die Selbstorganisation und Emergenz der Informationsverarbeitung in lebenden und künstlichen neuronalen Netzen. Sie ist Mitglied des Göttinger Exzellenzclusters Multiscale Bioimaging (MBExC) und des Göttingen Campus-Instituts für Data Science sowie des Elisabeth-Schiemann-Kollegs der Max-Planck-Gesellschaft.
Belegt durch eine Vielzahl an Publikationen sowie Kooperationen mit Forschungsgruppen im In- und Ausland hat sie sich bereits in einer frühen Phase ihrer Karriere in ihrem Forschungsgebiet einen Namen gemacht und sich zu einer herausragenden Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Entwicklung physikalisch-mathematischer Modelle zur Erforschung von Selbstorganisation und Informationsverarbeitung in komplexen Systemen entwickelt. Zu den wichtigsten Ergebnissen ihrer Forschung gehört eine Lernregel dafür, wie sich Neuronen zu stabilen und effektiven Netzen verschalten, um Informationen zu verarbeiten, und wie sie dafür individuell ihre Verbindungsstärke anpassen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie widmet sie sich zusätzlich der prädiktiven Erforschung der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 in Deutschland und Europa und entwickelt Strategien zu dessen Eindämmung. Sie berechnet Szenarien, wie sich die Ausbreitung des Virus unter verschiedenen Bedingungen beschleunigt oder abschwächt. So hat sie sich schnell zu einer äußerst gefragten Expertin entwickelt. Sie berät unter anderem die Bundesregierung und hat mit ihren dynamischen Modellen zur Pandemieentwicklung die Grundlage für politische Entscheidungen gelegt. Sie nimmt in der seriösen Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft durch regelmäßige Stellungnahmen und Medienpräsenz eine wichtige Rolle ein. Auf der Grundlage ihrer Modellierung zur Virusausbreitung und richtungweisenden Arbeiten zur Quantifizierung der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie war sie zudem maßgeblich an einer europäischen Stellungnahme beteiligt.
Zusätzlich zu ihrer Forschungstätigkeit engagiert sie sich durch zahlreiche Lehraktivitäten in ihrem Fachgebiet und die Betreuung einer Vielzahl von Studierenden, Master- und Promotionsarbeiten für die Ausbildung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Kategorie III – Lehrpreis
Juniorprofessor Dr. phil. Raphael Thöne; Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
Der Wissenschaftspreis in der Kategorie „Lehre“ wird erst seit 2018 vergeben; er ist dotiert mit 25.000 Euro. In diesem Jahr geht der Preis an Professor Dr. phil. Raphael Thöne von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH). Er ist seit Oktober 2020 Juniorprofessor für „Musiktheorie, Arrangement und Orchestration“ an der HMTMH.
Er steht für exzellente künstlerisch ausgerichtete stets innovative Musiktheorie- und praktische Kompositionslehre. Er wird als künstlerisch visionärer und weitsichtiger Lehrender beschrieben, der die Studierenden auf Augenhöhe behandelt und sie optimal mit hohem Praxisbezug auf ein schwieriges Berufsfeld vorbereitet. Beispielsweise durften Studierende des Jazz-Rock-Pop-Instituts im Rahmen eines Projekts Songs schreiben, ihre Kompositionen arrangieren und orchestrieren und anschließend mit dem Babelsberger Filmorchester, einem der hochrangigsten Filmorchester Europas, einspielen.
In seinem Unterricht gelingt es ihm, seine Begeisterung für die Musik auf die Studierenden zu übertragen, ihnen das Handwerk der Musiktheorie und des Arrangierens zu vermitteln und nicht zuletzt ihren musikalischen Horizont zu erweitern. Auch deshalb wird er von den Studierenden als starke Identifikationsfigur gesehen.
Besonders seine nachhaltigen Lehrinnovationen, seine vielfältige Projektarbeit und sein Engagement bei der Digitalisierung der Lehre sprechen aus Sicht der Jury für die Verleihung des Preises an ihn. Als Beispiel wird das LIPS-Projekt (Live Interactive PMSE Service) benannt. Bei dieser Kooperation der HMTMH mit der HMTM München, der Leibniz Universität Hannover und der Firma Sennheiser wurde ein innovatives, niedriglatentes System zur Vernetzung von Musikerinnen und Musikern oder auch Konferenzteilnehmerinnen und Konferenzteilnehmern getestet und in einem Abschlussworkshop präsentiert. Bei diesem Workshop spielten Studierende der HMTMH zusammen mit Studierenden der über 600 Kilometer entfernten HMTM München ein Konzert in „Low Latency“ mit hervorragender Klangqualität.
Im Nachgang des Projekts hat er sich für die Einführung des DANTE-Protokolls an der Hochschule eingesetzt. Diese Kombination aus Hardware, Software und einem Netzwerkprotokoll erlaubt es, mehrere Kanäle unkomprimierter digitaler Audiosignale mit geringer Latenzzeit über ein Netzwerkkabel zu übertragen. Dies macht es möglich, dass Ensembleräume an der Hochschule per Audio- und Videoschaltung zusammengeschaltet werden und trotz Corona eine essentiell kollaborative künstlerische Arbeit wieder möglich ist.
Er nutzt die aktuelle Situation erfolgreich als Möglichkeit, digitalen Unterricht voranzutreiben und zu optimieren. Es ist ihm gelungen, die Studierenden trotz der Probleme und Einschnitte, die die Coronapandemie insbesondere im kulturellen Bereich mit sich gebracht hat, immer wieder für ihr Studium zu motivieren.
Kategorie IV – Studierende
Für ihre herausragenden fachlichen Leistungen oder ihr besonderes gesellschaftliches Engagement geehrt wurden folgende Studentinnen und Studenten:
Henning Cassens, Jade Hochschule
Polina Tsvilodub, Universität Osnabrück
Jan de Haan, Annemarie Hartung, Karoline Misch, Alex Rieger, TU Braunschweig
Vera Mohwinkel, Universität Osnabrück
Sie erhalten jeweils beziehungsweise im Team ein Preisgeld von 3.500 Euro.
Alle Preisträgerinnen und Preisträger wurden von den niedersächsischen Hochschulen vorgeschlagen. Die Auswahl übernahm die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen. Für die Kategorie „Lehre“ wurde eine gesonderte Jury eingesetzt, die zur Hälfte mit Studierenden besetzt war. Der Wissenschaftspreis wurde zum fünfzehnten Mal vergeben.